In dem Alter hatte Provinzmadame noch Geburtsanzeigen gelesen, heute sind es, Todesanzeigen. Da zählt sie sogar die Geburten im Vergleich zu den Sterbefällen, aber nur um zu sehen, ob wirklich eine Überbevölkerung droht. Ein Spleen, denn ihr Leben genießt sie trotzdem jeden Moment und verschwendet keinen Gedanken an „eins danach“. Tatsache ist doch: Das Leben überlebt keiner und woran will man sich erinnern?
Provinzmadame sicher nicht an das Gebiss ihrer verstorben Mutter, im Nachtkastl. Oder die Kassenzettel vom letzten Jahrtausend, in einer Schuhschachtel. Das gibts nicht? Doch!
Alles beim Ausräumen der Wohnung ihrer älteren Schwester entdeckt. Nachdem sie Schlaganfall erlitten hatte und samt Ehemann, der an Parkinson litt, ins Pflegeheim musste.
Eine undankbare Aufgabe, weil s und ihre Geschwister entscheiden mussten, was bleiben kann und was muss weg. Nicht nur einmal haben sie sich dabei gefragt, ob sie die Frau, ihre Schwester, wirklich kannten. Nicht loslassen können, äußert sich bei einigen echt merkwürdig.
Woran willst Du dich erinnern?
Provinzmadame achtet seither noch mehr darauf, dass ihre Hinterlassenschaft, wenig Arbeit macht. Ihre Dokumente sind geordnet und sämtliche „Penner“ aus dem Schrank verbannt.
Das erinnert sie an ein Gespräch mit einer Freundin, die einen Overall besitzt, wo sie seit Jahren nicht mehr rein passt, aber sie meint nur dazu: „Der is so schön, dann sollns ihn mir halt im Sarg drauflegen“.
Provinzmadame kann Loslassen und hebt nur das auf, was sie an persönliche, tiefgreifende Lebensphasen erinnert. Da gehört das Gebiss der Mutter, garantiert, sicher nicht dazu. Von ihr hat sie ein Bild in der Küche und ein kleines Andenken am Nachttisch stehen.
Ist das Altersbedingt?
Mit welchen Gedanken Provinzmadame heute die Wohnung verlässt? Nicht mehr wie damals: „zieh dir geile Wäsche an, man weiß ja nie“, sondern: „Lieber Schwarz, damit der Sargtischler auch was davon hat“.
Überhaupt, wohin mit den delikaten Dingen, wie den Tschurifetzen? Was solls, ihre Töchter sind erwachsen und eine Verwechslung wie Anno dazumal, eher unwahrscheinlich.
Diese Erinnerung ans Familienfrühstück, treibt Provinzmadame heute noch die Schamesröte ins Gesicht, als die Erstgeborene angerannt kam und fragte: „Mamma, wo is die Raketn, die auf dem Bett lag“– omg.
Wenn schon sterben, dann mit einem Lächeln im Gesicht
Provinzmadame hat keine „Rechnung“ mehr offen und ist jederzeit bereit. Alles ist geregelt, um doch noch einen guten letzten Eindruck zu hinterlassen. Weshalb sie natürlich auch regelmäßig zur Fußpflege und Friseur geht, außerdem trägt sie nur mehr Schwarze Dessous.
Die Trauernden sollen a „Scheene Leich“ sehn und am Grabstein sollte stehen:
„Was guckst du, ich würde auch lieber am Strand liegen“ –
Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen, außer:
Ein Mensch sieht ein, dass der, der stirbt, den andern nur den Tag verdirbt.“ Eugen Roth
